EU-Lieferkettengesetz: Die grüne Transformation geht trotz Krieg und Inflation weiter
Inmitten einer unsicheren Lage der Weltwirtschaft macht die Europäische Kommission mit ihrem Entwurf für eine Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten, weitläufig bekannt als EU-Lieferkettengesetz, ernst für Unternehmen und weitet die Sorgfaltspflicht über deren eigene Geschäftstätigkeit auf globale Wertschöpfungsketten aus. Wird das europäische Lieferkettengesetz und vorgeschriebene Nachhaltigkeit ein Standortvorteil oder Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie?
Das EU-Lieferkettengesetz auf einen Blick
Mit dem Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz zielt die Kommission darauf ab, ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern und Menschenrechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit, den Wertschöpfungsketten und der Führung von Unternehmen zu verankern. So weit so gut – doch was bedeutet dies in der Praxis für europäische Unternehmen?
Die von der Kommission vorgesehene Sorgfaltspflicht der Unternehmen geht über Tier-1 Zulieferer hinaus und betrifft somit nicht nur etablierte direkte, sondern auch indirekte Geschäftsbeziehungen; Unternehmen werden verpflichtet sein, ihre gesamte Lieferkette hinsichtlich Verstößen von Umwelt-, Klima- und Menschenrechte zu überprüfen. Dem Vorschlag zufolge gelten die neuen Bestimmungen für EU-Unternehmen von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft (mindestens 500 Beschäftigte und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro), in der EU tätige drittstaatliche Unternehmen sowie EU-Unternehmen aus sogenannten ressourcenintensiven Branchen.
Inhaltlich sieht der Vorschlag konkrete Maßnahmen wie die Integration der Sorgfaltspflicht in die Unternehmensstrategie, Berichtspflichten sowie eine jährliche Überprüfung hinsichtlich der Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten und die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens vor. Mit der Verpflichtung für Unternehmen, die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Pariser Abkommen in der Geschäftsstrategie zu berücksichtigen, betont die Kommission, dass wirtschaftliches Handeln dem gesamtgesellschaftlichen Interesse dienen muss. Für Missstände entlang ihrer Lieferkette drohen Unternehmen neben Bußgeldern auch eine zivilrechtliche Haftung.
Vom Lieferkettengesetz zu einem internationalen Level Playing Field?
Der Richtlinienvorschlag wurde als "ein Wendepunkt für die Menschenrechte und die Umwelt“ bezeichnet; die Kommission definiert mit ihrem Paradigmenwechsel die Maßstäbe fairen Handels neu. Durch die Einführung von tiefgreifenden Sorgfaltspflichten für Unternehmen in ihren globalen Lieferketten und Wirtschaftsbeziehungen rücken Umwelt- und Klimaschutz, soziale Verantwortung und damit (nichtfinanziellen) Bedürfnisse von Dritten stärker in den Fokus unternehmerischen Handelns.
In Anbetracht der weitreichenden Verpflichtungen, die er europäischen Unternehmen auferlegen würde, sowie einhergehenden potenziellen Strafen und einer zivilrechtlichen Haftung ist es jedoch wenig überraschend, dass der Vorschlag umstritten ist. „Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form auf die Unternehmen abzuwälzen“, heißt es seitens der Industrie. Die Komplexität der globalen Lieferketten wird es schier unmöglich machen, die Sorgfaltspflicht über die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens zu kontrollieren.
Auch wird die Richtlinie in ihrer jetzigen Form, einschließlich ihrer vorgeschriebenen strengen Nachweispflichten, kleine und mittlere Unternehmen vor massive Herausforderungen stellen und sie über Kaskadeneffekte als Teil der Lieferketten erreichen – auch wenn sie nicht direkt in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Ob der Legislativvorschlag der Kommission die Fähigkeit europäischer Unternehmen, weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben, beeinträchtigen oder ihnen zu einem Standortvorteil verhelfen wird, bleibt abzuwarten.
ESG bestimmt die Transformation der europäischen Wirtschaft
Das vorgeschlagene EU-Lieferkettengesetz ist nicht die einzige Maßnahme, mit der die Europäische Union Unternehmen radikal zur Nachhaltigkeit umgestalten und die Themen Umwelt- und Klimaschutz, sowie soziale Verantwortung rechtlich verbindlich vorschreiben will. Der Entwurf wird mit der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und der EU-Taxonomie – die sogenannte „grüne Liste“ von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten – einhergehen und eine nachhaltige Unternehmensführung zur Norm etablieren.
In den vergangenen Jahren wurden Unternehmen zunehmend als „Corporate Citizens“ gesehen, die als Teil der Gesellschaft Verantwortung tragen, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten und deren Folgen im Rahmen von Nachhaltigkeit und ESG zu betrachten und dementsprechend auszuführen.
ESG - Environment, Social, Governance - wird somit für jedes Unternehmen zur entscheidenden strategischen sowie operativen Herausforderung, zum erfolgs- und existenzentscheidenden Faktor. Die neuen Regulierungen der EU und ESG werden zum neuen Business Case eines jeden Unternehmens - wer sich weiterhin am Markt behaupten will, muss ESG als den neuen Business Case verstehen und danach handeln.
What’s next?
Der Druck für eine baldige Einigung und Verabschiedung des Entwurfs wird groß sein. Eine Reihe von nationalen Vorschriften zur Sorgfaltspflicht sowie Initiativen auf Unternehmensebene haben zu einem Flickenteppich von inkohärenten Bestimmungen geführt. Angesichts widerstreitender Interessen seitens Industrie und Wirtschaft auf der einen Seite, und Vertretern von Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen auf der anderen Seite, scheint eine baldige Einigung jedoch unwahrscheinlich.
Der Kommissionsvorschlag wird nun im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses dem Europäischen Parlament und Rat vorgelegt und in Anbetracht seiner ehrgeizigen und umstrittenen Vorschläge mit hoher Wahrscheinlichkeit geändert werden. Sobald beide EU-Institutionen dem Vorschlag zustimmen – was Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern könnte – haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um die EU-Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen.