EU Erweiterung: Quo Vadis?
Neun Jahre sind vergangen, seit die Europäische Union (EU) mit Kroatien ein neues Mitgliedsland in den exklusivsten wirtschaftlichen und politischen Club des Kontinents aufgenommen hat. Nach erfolgter Aufnahme des 28. Landes in die Staatengemeinschaft begann die EU bald darauf, ihr Erweiterungsverständnis zu ändern. Eine offen gepredigte Politik der "Nicht-Erweiterung" wurde zur Norm, wobei sich die Union hierbei stets auf das Fehlen weiterer "Aufnahmekapazitäten" berief. Dieses neue Narrativ, das während der Juncker-Kommission verkündet wurde, erwies sich als strategischer Fehler, der gegen Ende seiner Amtszeit auch als solcher eingestanden wurde.
Bitte nehmen Sie Platz – Wartezeit ungewiss
Während des "Wartens in der Lobby" wurden die Beitrittskandidaten, darunter Montenegro, Serbien, Albanien, Nordmazedonien und die Türkei, sowie potenzielle Beitrittskandidaten wie Bosnien und Herzegowina und der Kosovo aufgrund des rigiden und langsamen Prozesses zunehmend demotiviert und müde. Dies gilt insbesondere für Nordmazedonien, das mit Albanien zu einem "Beitrittspaket" geschnürt wurde, da Griechenland und später Bulgarien die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen für Nordmazedonien mehrfach blockierten. Um die Dinge in Perspektive zu rücken: Nachdem Nordmazedonien 2005 den Kandidatenstatus erhalten hatte, hat es sich in Bezug auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen keinen Zentimeter bewegt, weil die benachbarten EU-Länder stets ihr Veto eingelegt haben.
In Ruhe gelassen, aber nicht für lange
Das Schlüsselelement des EU-Beitrittsprozesses sind die formellen Beitrittsverhandlungen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der die Übernahme des geltenden EU-Rechts und die Durchsetzung von Reformen in den Bereichen Justiz, Verwaltung, Wirtschaft und anderen Bereichen beinhaltet. Diese sind erforderlich, damit das Land die Beitrittsbedingungen, die sogenannten Beitrittskriterien, erfüllen kann. Nachdem ein Land den Status eines Beitrittskandidaten erhalten hat, kann es nach einem einstimmigen Beschluss des Rates der EU formelle Verhandlungen aufnehmen.
Die mangelnden Fortschritte im Beitrittsprozess der westlichen Balkanländer haben sich als fruchtbarer Boden für die Entstehung eines geopolitischen Vakuums erwiesen, das von anderen globalen Akteuren wie China oder Russland zunehmend gefüllt wird. Dieser Prozess lässt sich unter anderem an den immer engeren Beziehungen zwischen Serbien und Russland oder an den Infrastrukturinvestitionen zwischen Montenegro und China ablesen. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine rückte die EU-Erweiterungsdebatte jedoch wieder ganz oben auf die Tagesordnung der europäischen Politiker.
Die russische Invasion und das Comeback der EU-Erweiterung
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Erweiterungsdebatte in der EU auf den Boden der Realität zurückgeholt. Die Invasion hat gezeigt, wie wichtig es ist, den laufenden Erweiterungsprozess zu beschleunigen, um den russischen Einfluss in der Region einzudämmen und ein mögliches Übergreifen des Konflikts zu verhindern. Folglich hat die Invasion eine Reihe neuer politischer Entwicklungen in Gang gesetzt, die nur wenige Monate vor dem Krieg unvorstellbar waren. Im Juni 2022 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU, der Ukraine und der Republik Moldau im Eiltempo den Kandidatenstatus zu gewähren - zwei Ländern, die im Vergleich zu den westlichen Balkanstaaten nicht als potenzielle EU-Kandidaten galten. Nachdem die Ukraine und die Republik Moldau grünes Licht erhalten hatten, stimmte die EU schließlich auch der Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien zu und löste damit einen langjährigen politischen Stillstand teilweise auf.
In diesem neuen geopolitischen Kontext ist die Stabilität der westlichen Balkanländer mehr denn je in Frage gestellt. Die Ansicht der Europäischen Kommission ist hierbei deutlich: “Europe is not going to enjoy security, stability, and prosperity without the Western Balkans being fully integrated”. Da der politische Wille, etwas für eine weitere Erweiterung zu tun, immer stärker wird, sind auch die Wirtschaftsakteure der EU aufgerufen, die Integration durch ihre Niederlassungen in den (potenziellen) Kandidatenländern zu unterstützen.
EU Unternehmen – die Gunst der Stunde nutzen
Die EU-Erweiterung hat in der Vergangenheit gezeigt, dass die Ausdehnung des EU-Binnenmarktes auf die neuen Beitrittsländer zu einer Öffnung der Handels- und Finanzströme führt und damit neue Chancen für Unternehmen in der EU und den Beitrittsländern schafft. So haben beispielsweise österreichische Unternehmen diese Chancen während der vergangenen Erweiterungsrunden in Mittel- und Osteuropa (MOE) erkannt und ihre Direktinvestitionen von 0,5 Milliarden Euro im Jahr 1990 auf 66 Milliarden Euro im Jahr 2021 gesteigert.
Die EU-Länder sind daher aufgefordert, die neuen Möglichkeiten, die sich im Zuge des Erweiterungsprozesses ergeben, zu nutzen. Die Angleichung der Rechtsvorschriften des Landes an den EU Acquis führt unmittelbar zu einer höheren Rechtssicherheit für Unternehmen und senkt die durch unterschiedliche Vorschriften verursachten Betriebskosten. Darüber hinaus ist die Unterstützung eines stabilen wirtschaftlichen Umfelds sowie vertrauenswürdiger rechtlicher Institutionen in den (potenziellen) Kandidatenländern eine Voraussetzung für das Wachstum und den Wohlstand dieser Länder.
Nicht zuletzt dient die Präsenz von EU-Unternehmen in den Beitrittsländern dem Zweck, den geopolitischen Einfluss von Drittländern in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU in Grenzen zu halten. Außerdem stellen sie eine direkte Verbindung zum EU-Binnenmarkt dar und fördern eine stärkere Annäherung an die Gesetze, Praktiken und vor allem Interessen der EU.